Impulse

WERBEEXPERTE FÜR DAS UNTERNEHMER-MAGAZIN IMPULSE

Das Unternehmermagazin impulse hat sich in einer Titelgeschichte damit beschäftigt, wie man selbst mit einem geringen Werbebudget auf sich aufmerksam machen kann. impulse hat mich gefragt, ob ich drei Fallbeispiele aus der Praxis als Werbeexperte kommentiere. Das habe ich gerne gemacht. Da das Print-Magazin nicht so viel Platz hat wie etwa eine Wochenzeitung oder ein Online-Magazin, mussten meine Antworten etwas kürzer ausfallen. Hier nun die ausführliche Version.

Werbebeispiele ab 0 Euro

MISCHMASCH AUS HUSUM

„1A Fachhandel für Überflüssiges“, steht auf der Tafel neben einer Hofeinfahrt in Husum. Sie gehört zum Laden Mischmasch im Hinterhof.  Der Inhaber Henryk Damsch versucht erst gar nicht, Kunden vom Nutzen der Geschenkartikel wie Postkarten, bedruckte Kaffeebecher und Traumfänger zu überzeugen. Die Produkte sollen nur Spaß machen. „Deshalb funktionieren unsere selbstironischen Werbesprüche“, sagt Damsch. Manchmal steht auch auf den Tafeln „Wer kauft das bloß alles?“, „Wir helfen Ihnen, Ihr Geld auszugeben“, „Lachen gratis“, „Wenn es eine Lachsteuer gäbe, dann wären wir Millionäre“.

Seit 20 Jahren wirbt der Händler so. „Die Tafeln bringen uns mehr Kunden als eine Zeitungsanzeige oder Postkartenwerbung“, erklärt Damsch. Vor allem Laufkundschaft zieht es durch die Slogans in den Laden. Für die Werbung gibt Damsch kaum Geld aus. Die Sätze denkt sich der studierte Germanist mit seinen drei Mitarbeitern selbst aus. Manchmal machen auch Kunden Vorschläge. Die Tafelaufsteller, auch Kundenstopper genannt, gibt es bereits am 25 Euro.

Werbeexperte PR

Das Unternehmermagazin impulse befragt mich als Werbeexperte zu drei Fallbeispielen.

EXPERTENURTEIL PHILIPP BARTH, WERBETEXTER UND BUCHAUTOR

Wir werden jeden Tag von tausenden Werbebotschaften bombardiert. 98 Prozent davon blenden wir aus. Maximal zwei Prozent dringen in unser Bewusstsein vor. Ein Fiasko für die deutschen Werbetreibenden, die jedes Jahr rund 30 Milliarden Euro investieren. Was also tun? Der Weg ins Gehirn funktioniert über die Mechanik “Abweichen vom Gewöhnlichen”.

Als Marketer muss man wissen, dass sich unser Hirn noch immer auf dem Entwicklungsstand eines Steinzeitmenschen befindet. Abweichungen vom Bekannten können auf eine Gefahr oder auf einen Nutzen hinweisen. So etwas bemerkt der Steinzeitmensch in uns, um sein Überleben zu sichern. Plakate mit konventioneller “Kauf mich!”-Werbung nehmen wir gar nicht wahr. Wenn aber jemand “Kauf mich nicht!” sagt, bzw. “Wer kauft das bloß alles?” oder “1A Fachhandel für Überflüssiges”, dann fällt das auf. Der erste Schritt ist immer, Aufmerksamkeit zu erregen und bewusst wahrgenommen zu werden. Das ist dem Mischmasch Laden gelungen.

Die Texte machen neugierig, mal reinzuschauen. Händler wissen: Wer Umsatz machen will, braucht Traffic im Shop. Das passt also. Einen Schritt weiter geht der Spruch “Lachen gratis”. Das ist ein schönes Versprechen. Komm’ rein und amüsiere dich – umsonst. Ich denke, aus dem Fall kann man lernen, wie wichtig es ist, aus dem Einheitsbrei herauszustechen. Das Gewöhnliche wird übersehen. Nur das Außergewöhnliche wird wahrgenommen.

COACH SONJA KREYE

Sonja Kreye, 41, bezeichnet sich als Business-Mentor und berät Selbstständige wie Coachs dabei,  neue Kunden zu gewinnen. In der Beraterszene tummeln sich viele Anbieter. Deshalb überzeugt Kreye potenzielle Klienten mit einer Kostprobe ihres Könnens. Dafür musste sie nicht einmal eine Werbeanzeige schalten. Über die von ihr aufgebauten Facebook-Gruppe BusinessCelebrity hat sie die rund 1700 Mitglieder zu einer 7-Tage-Challenge eingeladen.

75 Mitglieder ließen sich darauf ein und erfüllten eine Woche lang von Kreye gestellten Aufgaben, zum Beispiel „Schreiben Sie, was Sie in Ihrem Business antreibt?“ oder „Was sind Ihre Stärken?“ Kreye hat jeden Eintrag der Teilnehmer in der Challenge-Woche kommentiert und bot ihnen anschließend ein kostenloses Erstgespräch an. 25 nahmen das Angebot an, 19 wurden zu Kunden. „Diese Aktion ist gerade für Online-Marketing-Anfänger interessant“, erklärt Kreye.  Man müsse sich weder mit E-Mail- noch mit Suchmaschinenmarketing auskennen. Werbebudget: 0 Euro.

EXPERTENURTEIL PHILIPP BARTH, WERBETEXTER UND BUCHAUTOR

Sonja Kreye hat zwar kein Geld investiert, aber dafür umso mehr Zeit und Mühe. Eine Facebook-Gruppe mit 1700 Mitgliedern aufzubauen gelingt schließlich nicht über Nacht. Die “7-Tages-Challenge” folgt einer der beliebtesten Werbemechaniken überhaupt: Teste meinen Service bzw. mein Produkt. Du gehst kein Risiko ein, es ist gratis. Beispiele gibt es viele: Drei Tage kostenloses Probetraining im Fitness-Studio. Gratis Parfum-Probe. Oder ein Obsthändler, der zwei, drei Trauben verschenkt, damit man auf den Geschmack kommt.

Ich denke, am Beispiel von Sonja Kreye wird deutlich, dass diese Mechanik gut funktioniert. Klar ist auch, dass Social-Media-Kanäle eine ausgezeichnete Möglichkeit sind, seine Zielgruppe anzusprechen. Sei es über Facebook, Instagram oder Twitter. Der Account wird zu einer Art eigenes Medium, das man beliebig oft für sich nutzen kann. Das ist super. Aber: Der Knackpunkt hier ist der Aufbau der Reichweite. Man startet mit 0 Mitgliedern bzw. Followern. Es ist harte Arbeit, den Account populär zu machen. Außerdem braucht man gerade am Anfang vor allem eines: Geduld.

LIBRILEO

“Da sind ja die Tatortreiniger“, witzelt eine Passantin, als sie Julius Bertram beim Schrubben der Berliner Rudi-Dutschke-Straße sieht. Hier, in unmittelbarer Nähe der Zentrale der „Bild“-Zeitung und der Startup-Fabrik Rocket Internet, beseitigt Bertram die Spuren einer spektakulären Werbeaktion, die tatsächlich an einen Tatort erinnern soll.

„Vielleicht etwas morbide, auf jeden Fall provokant“, sagt der Gründer von Librileo selbst. Doch genau das habe die kleine Kampagne erfolgreich gemacht: die Leute reden darüber. Mit seinem Team hat Bertram auf verschiedenen, bekannten Straßen Berlins die Umrisse von bekannten Figuren aus Kinderbüchern mit Sprühkreide aufgezeichnet. Pippi Langstrumpf etwa malten sie auf die Friedrichstraße direkt vor das bekannte Kaufhaus Lafayette. Die Kreidezeichnungen erinnerten tatsächlich an die aufgezeichneten Umrisse von Leichen an Tatorten.

Mit der Aktion wollte das Kinderbücher-Startup Librileo vor dem Verschwinden von Kinderliteratur im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft warnen und dafür werben, dass besonders Kindern aus sozial schwachen Familien wieder mehr vorgelesen wird. Beides hatte vor allem ein Ergebnis: Es war äußerst effektive Werbung für Librileo. Das gemeinnützige Unternehmen bietet ein Abonnement für Kinderbücher-Boxen mit monatlich wechselnden Inhalten an und wendet sich speziell an ärmere Haushalte, in denen Kinder häufig weniger lesen als in wohlhabenderen Familien.

Librileo Website
Vorleseclub für Kinder: Librileo

KLEINES BUDGET, GROSSE WIRKUNG

Die Idee ist typisch für Librileo: Immer wieder schafft es das 2015 gegründete Start-up mit zehn Mitarbeitern mit wenigen Mitteln eine große Wirkung zu erzielen. Alles, was es für die Werbeaktion brauchte, waren ein paar Sprühdosen und starke Nerven. Nicht wenige Leute regten sich über die Aktion auf, auch das Ordnungsamt meldete sich. Und als sich herausstellte, dass die Kreidezeichnungen nicht von allein durch den Regen wieder verschwinden, mussten sie noch einmal ausrücken, um sie selbst zu beseitigen.

„Die Ideen entstehen immer bei uns im Team, häufig beim Schnack an der Kaffeemaschine“, erzählt Gründer Bertram. Die einzige Regel: Alle müssen einverstanden sein und mitziehen. So haben die Mitarbeiter auch schon Ideen des Chefs abgebügelt. „Das wir alles selbst umsetzen, bringt es nichts, wenn ich etwas vorgebe, was nicht auf Begeisterung stößt“, sagt der 34-Jährige.

Kosten:

Hanging Books: ca. 70 Euro Materialkosten für Band zum Aufhängen und Poster. Die Bücher waren Spenden.

Gezeichnete Kinderbuchfiguren: ca. 110 Euro Materialkosten für Kreidespray, Pappe für die Figur-Schablonen, Wischer und Spezialreiniger zum späteren Aufräumen

EXPERTENURTEIL PHILIPP BARTH, WERBETEXTER UND BUCHAUTOR

Auf den ersten Blick scheint der Ort etwas unglücklich gewählt: Wenn die Zielgruppe sozial schwache Familien sind, was hat die Promotion dann vor dem Edelkaufhaus Lafayette zu suchen? Oder in der Nähe des Axel-Springer-Hochhauses, wo Zeitungsredaktionen sitzen? Aber: Hier geht es gar nicht um die lokal begrenzte “Guerilla-Aktion”, wie man in der Werbebranche solche unangemeldeten Maßnahmen nennt. Es geht darum, dass die Medien darüber berichten. Erst dann kommt man auf eine Reichweite, die wirklich etwas bewegt.

Ob das klappt, kann man im Vorfeld nie wissen. In diesem Fall ging der Plan auf. So hat etwa die Tageszeitung B.Z. über den Fall geschrieben und damit die Botschaft an rund 360.000 Leser weitergegeben. Vielleicht hätte man die Promotion sogar noch ein bisschen weiterdenken können. Die Umrisse der Kinderbuchfiguren sind ein interessanter Hingucker, aber es fehlt der knackige Satz, der das Rätsel schnell auflöst. Wenn man sich erst einen Flyer durchlesen muss, um zu verstehen, was Librileo ist, wie das Ganze gemeint ist und was man jetzt tun soll, dann dauert das vielen Passanten und Journalisten schlicht zu lange.

Außerdem hätte man die Aktion mit einem Video dokumentieren können. Videos funktionieren online nämlich am besten, wenn eine Aktion viral gehen soll. Virale Werbung ist so interessant, dass Medien und Blogger freiwillig darüber berichten und gilt als der heilige Gral des Marketings. Den Erfolg garantieren kann man zwar nicht, aber wenn es klappt, dann ist das eine großartige Sache, die Millionen Zuschauer bringen kann. Ich denke, von Librileo kann man lernen, wieviel Potential in PR-Ideen steckt. Wer eine solche “Idee ohne Budget” hat, braucht aber eine Menge Mut und viel Glück.

EIN PR-COUP KANN AUCH ZU WEIT GEHEN

Auf der Suche nach einem PR-Coup kann man allerdings auch zu weit gehen. Als sich etwa Sophia Thomalla im Dezember 2017 leicht bekleidet an ein Kreuz fesseln ließ, um auf einen Lotterie-Anbieter aufmerksam zu machen, war das ein wohl kalkulierter Skandal. Der Spruch zum Bild lautete: “Weihnachten wird jetzt noch schöner”. Das ist natürlich Unsinn, denn Christus wurde am Karfreitag ans Kreuz geschlagen, nicht an Weihnachten.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, sagte gegenüber der BILD Zeitung: „Das ist nicht einmal Kunst. Nur geschmacklos und dumm”. Diese Kritik befeuerte den Skandal noch weiter. Unzählige Medien berichteten und die Werbung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Kostenlos. Trotzdem denke ich, dass die Aktion langfristig gesehen allen Beteiligten schadet. Es ist mehr als unsympathisch, religiöse Gefühle zu verletzten, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Vor so einer PR-Idee sollte man die Finger lassen.

Den ausführlichen Artikel und weitere Fallbeispiele aus der Praxis gibt es im impulse Magazin.


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